Chen-Stil Taijiquan in Taiwan

02.10.2007

Die lückenlose Überlieferung von Festland China nach Taiwan
In den letzten Jahren ist aus dem einst so respektablen Chen-Stil-Taijiquan, Chenshi Taijiquan 陳式太極拳, eine ganz pragmatische Lehre geworden, im Inland und Ausland als Trend weit verbreitet. Die Traditionslinien des Chen-Stil-Taijiquan in Taiwan sind alle mehr oder weniger zur Zeit des Regierungswechsels in der VR China (1949) und dem Rückzug der Guomingdang-Kader nach Taiwan auf die Insel gelangt. Obwohl die damals übersiedelten Traditionshalter nur wenige waren, so sind sowohl die Hauptform des Chen-Stils mit 13 Stellungen aus dem Alte Rahmen, Laojia 老架, die Form des Neuen Rahmens, Xinjia 新架, und des Kleinen Rahmens, Xiaojia 小架, sowie deren zweite Formen des Kanonen-Boxens, Paozhui 炮( 炮) 捶, vollkommen und ohne Lücken überliefert worden.

Hier eine kurze Auflistung der in Taiwan anfänglich aktiven Vertreter des Chen-Stils, die nach außen hin einem größeren Publikum bekannter geworden sind:

Meister Du Yuze 杜毓澤, Schüler von Altmeister Chen Yanxi 陳延熙 aus der 16. Generation, und Chen Mingbiao 陳名標 aus der 17. Generation des Chen-Dorfes, Chenjiagou 陳家溝, von denen er den Großen Rahmen, Dajia 大架und den Neuen Rahmen erlernt hatte [1].
Meister Wang Helin 王鶴林, Schüler von Altmeister Chen Fusheng 陳福生 (Fake 發科), von dem er den Großen Rahmen erlernt hatte.
Meister Pan Yongzhou 潘詠周, Schüler von Altmeister Chen Fusheng (Fake), von dem er den Großen Rahmen erlernt hatte.
Meister Wang Jinrang 王晉讓, Schüler von Altmeister Chen Yingde 陳應德, von dem er den Kleinen Rahmen nach Altmeister Chen Qingping 陳青萍 erlernt hatte.
Meister Guo Qingshan 郭青山, Schüler von Altmeister Chen Shengsan 陳省三, von dem er den Neuen Rahmen erlernt hatte.
Meister Wang Mengbi 王夢弼, Schüler von Altmeister Chen Fusheng (Fake), von dem er den Neuen Rahmen erlernt hatte.
Abb. links: Wang Mengbi 王夢弼, Guo Qingshan 郭青山, Du Yuze 杜毓
澤, Wang Helin 王鶴林, Pan Yongzhou 潘詠周.
Chen-Stil-Taijiquan ist eine große Schule mit einer umfangreichen Lehre, die aber ebenfalls mit einer ganzen Reihe von großen Problemen behaftet ist.

Diese sind sicherlich nicht mit ein paar Worten oder Sätzen und auch nicht mit ein paar Berichten in Magazinen und Periodika zu klären bzw. abzuhandeln. Sehr wahrscheinlich verhält es sich ähnlich wie mit anderen Schulen (z.B. der Kranich-Methode, Hefa 鶴法), bei denen die Klärung eines Problems dazu führt, dass ein anderes aufgeworden wird. So wurde über diesen in Taiwan weit verbreiteten Stil wiederholt und immer wieder aus anderen Perspektiven heraus diskutiert, ohne dass eine endgültige Klärung bestehender Fragen abzusehen wäre. Trotzdem aber hoffen wir alle, dass solche Diskussionen wenigstens Teilbereiche klären helfen, und vielleicht dann irgendwann doch noch zu einer Gesamtlösung der zahlreichen Probleme führen werden.
Gewöhnlich beginnen solche Diskussionen in Kampfkunstkreisen mit der Unterscheidung von Generationen in den Überlieferungen, die uns zunächst einmal daran erinnern, die jeweiligen Altmeister und ihre traditionellen Theorien sowie praktische Wege zu respektieren. Natürlich sollte dies aber nicht verhindern, dass im Sinne einer auf Tatsachen basierenden Forschung alle zugänglichen historischen Quellen sorgfältig studiert werden müssen. Dies wiederum soll aber nicht bedeuten, dass ältere Belege unbedingt besser oder gar wahrhafter sind.

Auf Grund der vorliegenden Quellen wurde beschlossen, die Tradierungslinien von den vier Altmeistern Du Yuze, Wang Helin, Pan Yongzhou und Wang Jinrang weiter zu verfolgen, wobei zwei Punkte zu berücksichtigen sind:

1. Da von den zwei Altmeistern Guo Qingshan und Wang Mengbi bisher keine Nachfolger ausfindig gemacht werden konnten, wurden sie in der vorliegenden Darstellung nicht berücksichtigt. Sollten deren Nachfolger oder andere Vertreter deren Linien beleuchten können und an diesem Projekt teilzunehmen wünschen, so würde dies uneingeschränkt berücksichtigt werden.
2. Hier werden die Unstimmigkeiten zwischen dem Chen-Stil-Taijiquan und dem Zhaobao-Taijiquan 趙堡太極拳 ausgegliedert, so dass die Zhaobao-Linie von Altmeister Wang Jinrang ohne weitere Einschränkungen in den Forschungsbereich mit aufgenommen werden kann.
Zunächst werden hier die Biographien der beiden Altmeister Du Yuze und Wang Helin dargestellt, danach folgen dann die Lebensgeschichten von Altmeister Wang Jinrang und Pan Yongzhou. Dieser Reihenfolge liegen ausdrücklich keinerlei besondere Ursachen zu Grunde. Vielmehr wird einfach nach den zuerst zugänglichen Materialien verfahren, was für die Edition der Serie einfach die praktischere Verfahrensweise war.
Nach einer ersten Einsicht der Quellen wurden zunächst nachfolgende und grundlegende Forschungsrichtungen und Fragestellungen festgelegt:
1. Von den Tradierungen der Kampfkünste aus dem Chen-Dorf ausgehend soll das in Taiwan überlieferte Chen-Stil-Taijiquan untersucht werden.
2. Als Zentrum und grundlegende Besonderheit des Chen-Stil-Taijiquan wird das Chansi 纏絲, das Abwickeln des Seidenfadens vom Kokon, die Seidenübungen, angesehen.
3. Die hervorragenden Persönlichkeiten aus dem Chen-Dorf wurden größtenteils von frühester Jugend an in der Faustkampfkunst unterwiesen. Wie nun ist dieses Training im Chen-Stil-Taijiquan vom Kindesalter Jahren an konzipiert? Wie verlaufen die Prozesse und Fortschritte des Faustkampftrainings prinzipiell?
4. Wie lassen sich die grundlegenden Prinzipien des ursprünglichen Chen-Stil-Taijiquan charakterisieren?
Abb. rechts: Fünf der sechs großen Chen-Stil-Meister in Taiwan, von links nach rechts: Guo Qingshan, Pan Yongzhou, Du Yuze, Wang Jinrang, Wang Mengbi (es fehlt: Wang Helin).
Da die genannten Altmeister bereits alle verstorben sind, ist es wirklich unmöglich, Informationen aus erster Hand, von Angesicht zu Angesicht zu bekommen. Weil aber die jeweiligen, offiziell aufgenommenen Schüler bis in die Gegenwart hinein in eigenen Aufsätzen ihrer Lehrer und deren Fertigkeiten gedenken, muss die respektvolle Verehrung dieser Altmeister hier nicht weiter berücksichtigt werden. Eine Zusammenfassung der in so zahlreichen Aufsätzen enthaltenen Informationen würde darüber hinaus nicht nur keine neuen Erkenntnisse beinhalten, sondern bestimmt eine oft unangemessene Verkürzung bzw. Vereinfachung mit sich bringen, die die Bedeutungen dieser Dokumente verfälschen und letztlich ihren Wert mindern würden. So ein Resultat wäre nun aber überhaupt nicht im Interesse von uns allen, so dass darauf verzichtet werden muss.
Wegen der oben aufgeführten Überlegungen werden also nur Informationen von direkten Erben der Altmeister, den Hauptschülern und Linienhaltern, bzw. direkt aus den Federn der Altmeister selbst stammende Aufsätze und Schriften berücksichtigt, die nur etwas erläutert und editiert wieder gegeben werden. Darunter befinden sich einige bereits veröffentlichte, aber nicht weit verbreitete oder bisher gar nicht veröffentlichte Quellen, die der jetzige Generation von Chen-Stil-Taijiquan Lernenden einen direkten Blick auf die Altmeister werfen lassen und als klassisch-historische Quellen einen besonderen Schatz darstellen.
Endoten
[1]Da es immer wieder zu Unklarheiten bezüglich den Bezeichnungen der einzelnen Stilarten kommt soll die Abbildung unten hier nochmals Klarheit schaffen. Im Dajia wird vermutlich seit der Chen Fake (und Chen Zhaokui) Xinjia-These auch immer wieder Chen Zhangxings (und Chen Yanxis) Methode als Laojia (alter Rahmen) bezeichnet, wahrscheinlich, um zwischen der Zeit vor Chen Fake zu differenzieren. Zur Behauptung, dass Chen Youben einen sogenannten neuen Rahmen (Xinjia) kompiliert haben könnte, sind keine relevanten Aufzeichnungen verfügbar, die diese These untermauern könnten. Die Chen Stammhalter und Nachfahren von Chen Youbens Tradierung verneinen die diesbezügliche Xinjia-These eindeutig.
Erstmals erschienen im Wulin Nr.11 (16. Sept. - 15. Dez. 2002), Taiwan.
Übersetzung: Dr. Hermann G. Bohn. Fotos: © W.Jiaxiang, T. Zongren, D.StubenbaumFortsetzung Artikel: Biographie von Altmeister Du Yuze 杜毓澤© 2006, Dr. Hermann G. Bohn für cultura martialis
Der Orginalartikel ist in Heft 8 des Kampfkunstjournals cultura martials enthalten.